Vor 2020 galt Homeoffice als schönes Privileg für einige Arbeitnehmer. Diese hat man dann manchmal etwas beneidet und sich die ganze Angelegenheit sehr gemütlich vorgestellt.
Doch Homeoffice kann auch eine ganz andere Seite haben. Denn natürlich ist die ganze Angelegenheit nur schön, wenn man einen ergonomischen Bürostuhl, einen großen Bildschirm, ein ruhiges und helles Arbeitszimmer und eine gute Kaffeemaschine hat. All das hatten unsere Häklerinnen nicht zu Hause. Stattdessen bedeutet Homeoffice für sie folgendes: die ganze Familie ist zu Hause, nicht nur die eigenen Kinder, sondern auch andere Verwandet und die müssen bewirtet werden. Die Deutschkenntisse werden lange nicht gefördert, da in den Familien kaum Deutsch gesprochen wird. Aufgrund beschränkter Möglichkeiten gibt es auch keine Ausweichmöglichkeiten, wie ein Wochenende auf dem Land oder ähnliches. Hinzukommen die langjährigen Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen aus der Flucht- und Migrationsbiographie, welche sich durch die fehlende Routine verschlimmert haben. So lief das Homeoffice für unsere Häklerinnen viel zu viele Wochen im letzten Jahr.
Wir können die Zeit leider nicht zurück holen, aber als Antwort auf die letzten für unsere Häklerinnen nicht so erfreulichen Monate, starten wir eine Weiterbildungsoffensive! Zur Zeit führen wir ausführliche Mitarbeitergespräche, um einen Ist-Stand aller Kenntnisse, Fertigkeiten und auch Entwicklungswünsche unserer Projektteilnehmerinnen erfassen zu können. Grundsätzlich möchten wir unsere Häklerinnen in folgenden Bereichen weiterbilden:
Weiterentwicklung im Kunsthandwerk
Die Projektteilnehmerinnen haben einen recht unterschiedlichen Stand die Fertigkeiten im Kunsthandwerk betreffend. Zudem beherrschen sie unterschiedliche Techniken, abhängig vom Herkunftsland. Die Kenntnisse sollen für jede Teilnehmerin erweitert werden. Handwerkliche Meisterinnen sollen hier die Frauen mit geringeren Kenntnissen unterrichten und anleiten. Dabei werden auch die Fähigkeiten der Frauen, welche viele Techniken bereits beherrschen, im Lehren des Kunsthandwerks unterstützt. Dies ist ein sehr wichtiger und selbstbewusstseinsstärkender Schritt, zeigt er doch den bisherigen Weg und erlangte Erfolge auf. Ziel ist es, dass die Projektteilnehmerinnen nach einem Jahr eine neue Technik erlernt haben und verschiedene Muster gut beherrschen.
Verinnerlichen von Arbeitsabläufen und Plänen
Aufgrund der unterschiedlichen Hemmnisse der Projektteilnehmerinnen müssen Arbeitsabläufe immer wieder erklärt und eingeübt werden. Dies betrifft Routinen wie die tägliche Eröffnung der Vereinsräume und Reinigungspläne, aber auch den Bereich Kommunikation (Wie melde ich mich krank? Wann beantrage ich Urlaub?). Diese Abläufe sollen festgehalten und regelmäßig neu besprochen werden. Auch in den wöchentlichen Feedbackgesprächen können sie thematisiert werden. Ziel ist es, dass die Projektteilnehmerinnen Routinen verinnerlicht haben und selbstständig ohne externe Hinweise durchführen.
Einführung in Computerkenntnisse
Der Umgang mit Technik beschränkt sich für die meisten Projektteilnehmerinnen auf den Umgang mit den persönlichen Smartphone. Anhand lebensechter Herausforderungen wie das Erstellen einer eigenen Rechnung (für unsere selbstständigen Häklerinnen) oder das Anfertigen einer einfachen Steuererklärung sollen die Kenntnisse aufgebaut und stabilisiert werden. Der Verein möchte den Projektteilnehmerinnen diese Aufgaben nicht abnehmen, sondern Hilfe zur Selbsthilfe leisten.
Verkaufsberatung im Laden und Umgang mit Kunden
Die Projektteilnehmerinnen sollen in so viele Teilbereiche eines Modeunternehmens wie möglich eingearbeitet werden. Ein Bereich ist der Kontakt mit Kund*innen des Ladengeschäfts. Dies ist aufgrund der Räumlichen Nähen zwischen dem Verein und dem Modelabel Rita in Palma einfach möglich. Rita in Palma ist gerne bereit nicht nur die Produkte des Vereins zu erwerben, sondern auch bei der (Aus-)Bildung der Projektteilnehmerinnen mitzuhelfen. Die Kund*innen sind in der Mehrzahl von der filigranen Kunstfertigkeit der fertigen Produkte begeistert und es ist schön, wenn die Produzentinnen das Feedback direkt hören können. Zudem erleben die Projektteilnehmerinnen durch den Kundenkontakt, welche Stücke sich gut verkaufen, welche Verschlüsse und Größen praktisch sind und kommen so auf neue kreative Ideen. Das Beratungsgespräch auf Deutsch zu führen ist eine zusätzliche gute Herausforderung.
Bewältigung persönlicher Ämterkommunikation und Behördenschreiben
Viele der Projektteilnehmerinnen haben regelmäßigen Kontakt zu Ämtern und Behörden. Dies betrifft besonders die Familien, welche Unterstützung durch das Jobcenter erhalten. Viele der Frauen, welche der Verein zu einer möglichen oder bestehenden Selbstständigkeit berät, beziehen Hartz IV und bessern durch ihre Häkelarbeiten ihre finanziellen Möglichkeiten auf. Daraus ergibt sich eine regelmäßige Kommunikation mit dem Jobcenter über Weiterbewilligung von Leistungen und das regelmäßige Melden der Gewinne durch das Gewerbe. Auch bei Wohnungssuchen, Kommunikation mit der Ausländerbehörde und dem Verfassen einer Steuererklärung benötigen die Projektteilnehmerinnen Hilfe. Ziel soll sein, dass die Frauen auch an diesem Punkt eine immer größere Selbstständigkeit erlangen und in der Lage sind, nicht nur sich selbst, sondern auch anderen zu helfen. Ziel soll es sein, dass die Frauen nach einem Jahr einen einfachen Brief an eine Behörde am Computer verfassen können.
Begleitender Ausbau vorhandener Deutschkenntnisse
Der Deutschunterricht findet bereits einmal die Woche für alle Frauen mit einer ehrenamtlichen Deutschlehrerin statt. Die Inhalte des Unterrichts sollen besser an die aktuellen Schritte der gesamten Gruppe angepasst werden. Bei Bedarf – wie zum Beispiel bei Bewerbungen oder dem Verfassen von Briefen – kann das Gruppenangebot durch gezielten Einzelunterricht ergänzt werden. Ziel ist es, den Wortschatz der Projektteilnehmerinnen in Wort und Schrift so zu erweitern, dass sie ihren Alltag so selbstständig wie möglich bestreiten können.
Möglich ist das durch den Verein Berliner helfen e.V., welcher auf Initiative der Berliner Morgenpost gegründet wurde. Der Verein unterstützt verschiedene soziale Projekt der Stadt mit den Spenden der Leser der Zeitung. Wir bedanken uns recht herzlich bei jedem Spender und dem Berliner helfen e.V.!
Foto: Myriam Lutz